Grimms Märchen ohne Worte


Märchenerzähler sind schnell für ein Märchenbuch zu haben, Grimms Märchen ohne Worte vervollständigt nun meine Grimm-Märchenausgaben und hebt sich aus ihnen nicht nur des Formates wegen ab.
So ganz ohne Worte geht es darinnen zwar auch nicht zu – die Märchentitel sind in Buchstaben, aber sonst  –  nur Bilder.
Wobei Bilder ist fast falsch, Piktogramme trifft es eher, aber dann doch nicht ganz. Zu Symbolen stilisierte Bilder in vier Farben – rot, schwarz, weiß und grün erzählen einem, durch Pfeile miteinander verbunden, folgende Grimm-Märchen:

Rotkäppchen
Hänsel und Gretel
Der Froschkönig
Die Bremer Stadtmusikanten
Rumpelstilzchen
Schneewittchen
Daumesdick
Aschenputtel
Hans im Glück
Frau Holle
Der gestiefelte Kater
Das tapfere Schneiderlein
Dornröschen
Rapunzel
Tischlein deck dich
Der Wolf und die sieben Geißlein

Ich hatte nicht gleich einen Jubel in mir, als ich das Buch aufschlug, aber mit jedem Bild wurde es mir lieber. Schon am Ende des ersten Märchens, Rotkäppchen, war ich begeistert.  Schön fand ich beim Betrachten auch, dass das Märchen dann doch einen bisher unbekannten Ausgang hat, so dass neben der anderen Darbietung auch ein etwas anders Märchen geboten wurde. Ich muss sagen, ich liebe dieses Buch mittlerweile. Es ist gar nicht so einfach zu „lesen“ wie man auf dem ersten Blick meinen könnte, aber es erzählt so detailreich, dass es eine Freude ist, sich damit ein bisschen Mühe zu geben.

Als mein Mann das Buch zur Hand nahm, um es wegzuräumen, schaute er hinein und konnte dann sein Vorhaben gar nicht mehr umsetzen. Laut lachend musste er das Märchen von Hans im Glück erst einmal „lesen“ – er ist genauso begeistert von dem Buch wie ich.

200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm


Am 20.12.1812 erschien die erste Ausgabe der Märchensammlung der Brüder Grimm. Auf wikipedia findet man mit dem Suchbegriff: Kinder – und Hausmärchen eine gute Aufstellung der wesentlichen Informationen dazu, derer ich mich aus Zeitgründen für diesen Beitrag hier auch überwiegend bediente.

Angeregt wurden die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm zu dieser Sammlung von Clemens Brentano, welcher auf der Suche nach volkstümlichen Liedern für die Sammlung Des Knaben Wunderhorn war. Der Kontakt entstand über  Friedrich Carl von Savigny, Jacob Grimm studierte bei ihm und arbeitete zu dem Zeitpunkt  in der Kasseler Bibliothek. Die Brüder Grimm  begannen ab 1806 , für Brentanos Sammlung Lieder und später auch Märchen aus literarischen Werken herauszusuchen.
Als Vorgabe für die ideale Märchenform, nach der zu suchen ist, nannte Brentano seine Bearbeitung von Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst und Von dem Tode des Hühnchens, sowie Runges Märchen Vom Fischer und seiner Frau und Vom Wacholderbaum. Er riet ihnen auch, die mündliche Erzähltradition zu erforschen.

Die handschriftliche Urfassung

Jacob Grimm schickte Brentano am 17. Oktober 1810 48 Texte, die dieser aber nicht nutzte. Insgesamt war die Sammlung etwas größer, da er Brentano bereits vorliegende Texte nicht erneut abschrieb. Jacob Grimm hatte die Texte sortiert und 25 selbst niedergeschrieben, Wilhelm 14 und verschiedene Gewährsleute sieben. Von der sogenannten handschriftlichen Urfassung stammten wohl 18 Stück aus literarischen Quellen (einschließlich der 2 Texte Runges), 16 von den Geschwistern Hassenpflug, 14 von Familie Wild, 6 von Friederike Mannel, 2 von der Frau des Marburger Hospitalvogts und 1 von den Geschwistern Ramus. Die mündlich beitrugen, waren durchwegs etwa gleichaltrige junge Frauen aus dem bürgerlichen Milieu, bis auf zwei von der Apothekersfrau Wild nachgewiesene Texte (Strohhalm, Kohle und BohneLäuschen und Flöhchen).

Die Erstauflage

Da Brentano das angeforderte Material nicht nutzte, führten Jacob und Wilhelm Grimm  die Sammlung in eigener Regie weiter, wobei sie Notizen zu Gewährspersonen und Aufnahmedaten nun genauer führten. Die Geschwister Hassenpflug und Wild waren ihre ergiebigsten Quellen. Dem Bild hessischer Volksüberlieferung am nächsten kommt noch der pensionierte Dragonerwachtmeister Johann Friedrich Krause. Er ist der älteste Beiträger überhaupt.
Jetzt war es Brentanos Freund, Achim von Arnim, der die Brüder Grimm auf weitere Texte hinwies, u. a. Die Sterntaler, und sie 1812 zur Publikation animierte. Das Buch sollte preiswert sein und zur Mitarbeit anregen. So wurde auch fragmentarisches Material abgedruckt mit Anmerkungen direkt unter den Texten. Die ersten Exemplare erschienen am 20. Dezember 1812, der größte Teil im März 1813 in einer Auflage von 900 Stück bei Verleger Georg Andreas Reimer in Berlin.
Es war zu Verzögerungen gekommen, da der Text von Der Fuchs und die Gänse verloren gegangen war. Außerdem führten Reimers Eingriffe in Runges Texte zu Spannungen.

Insgesamt erfuhr die Sammlung eine stete Erweiterung und Textbearbeitung bis zur siebten Auflage 1857, genannt letzter Hand, weil es seit dem keine Bearbeitung durch die Brüder Grimm mehr gab.

Der WDR zeigte auf seiner Homepage sogar mein erstes Grimm-Märchenbuch, das hatte ich irgendwann totgeliebt und kaputtgelesen, aber es bleibt mir auf ewig im Hirn und Herzen.

das 196. der Kinder-und Hausmärchen


 

 heißt: Oll Rinkrank und ist eigentlich in friesisch erzählt. Ich liebte diese schlichte Erzählweise des Märchens schon als Kind.Bei der Namensdeutung kam und komme ich aber allein nicht weiter und muss mich bei wikipedia bedienen:

Namensdeutung

Auf niederdeutsch heißt rink Ring, Kreis und rank lang und dünn, man bzw. mân kann neben Mann auch Mond heißen, rôt bedeutet Ruß, Talg oder rot, rote das Verrotten.Auf friesisch heißt ring schlecht, minderwertig, kränkelnd, kümmerlich und krak auch hinfällig, schwach, mageres Tier oder boshafter Mensch.
In meiner Gegend hieße der Oll Rinkrank vermutlich nur der Olle.
Aber die Bezeichnung für die gefallene Prinzessin, Frau Mansrot, bei der habe ich schon meine Schwierigkeiten. Ich vermute jetzt, sie ist eine, die man nicht sieht (speziell Männer nicht), neumondartig, Mondruß sozusagen.

Oll Rinkrank

Dar war mal ’n König wän, un de har ’n Dochter hat: un de har ’n glasen Barg maken laten, un har segt de dar över lopen kun, an to vallen, de schull sin Dochter to ’n Fro hebben. Do is dar ok en, de mag de Königsdochter so gärn liden, de vragt den König of he sin Dochter nich hebben schal? „Ja,“ segt de König, „wenn he dar över den Barg lopen kan, an dat he valt, den schal he är hebben.“ Do segt de Königsdochter den wil se dar mit hüm över lopen un wil hüm hollen, wen he war vallen schul. Do lopt se dar mit ’nanner över, un as se dar miden up sünt, do glit de Königsdochter ut un valt, un de Glasbarg de deit sick apen, un se schütt darin hendal: un de Brögam de kan nich sen war se herdör kamen is, den de Barg het sick glick wär to dan. Do jammert un went he so väl, un de König is ok so trorig un let den Barg dar wedder weg bräken un ment he wil är wedder ut krigen, man se könt de Stä ni finnen wär se hendal vallen is. Ünnertüsken is de Königsdochter ganz dep in de Grunt in ’n grote Höl kamen. Do kumt är dar ’n ollen Kärl mit ’n ganzen langen grauen Bart to möt, un de segt wen se sin Magd wäsen wil un all don wat he bevelt, den schal se läven bliven, anners wil he är ümbringen. Do deit se all wat he är segt. ’S Morgens den kricht he sin Ledder ut de Task un legt de an den Barg un sticht darmit to ’n Barg henut: un den lukt he de Ledder na sick ümhoch mit sick henup. Un den mut se sin Äten kaken und sin Bedd maken un all sin Arbeit don, un den, wen he wedder in Hus kumt, den bringt he alltit ’n Hüpen Golt un Sülver mit. As se al väl jaren bi em wäsen is un al ganz olt wurden is, do het he är Fro Mansrot, un se möt hümoll Rinkrank heten. Do is he ok ins enmal ut, do makt se hüm sin Bedd un waskt sin Schöttels, un do makt se de Dören un Vensters all dicht to, un do is dar so ’n Schuf wäsen, war ’t Lecht herin schint het, dat let se apen. As d’ oll Rinkrank do wedder kumt, do klopt he an sin Dör un röpt „Fro Mansrot, do mi d’ Dör apen.“ „Na,“ segt se, „ik do di, oll Rinkrank, d’ Dör nich apen.“ Do segt he

„hir sta ik arme Rinkrank
up min söventein Benen lank
up min en vergüllen Vot,
Fro Mansrot, wask mi d’ Schöttels.“

„’k heb din Schöttels al wusken“ segt se. Do segt he wedder

„hir sta ik arme Rinkrank
up min söventein Benen lank,
up min en vergüllen Vot,
Fro Mansrot, mak mi ’t Bedd.“

„’k heb din Bedd al makt“ segt se. Do segt he wedder

„hir sta ik arme Rinkrank
up min söventein Benen lank,
up min en vergüllen Vot,
Fro Mansrot, do mi d’ Dör apen.“

Do löpt he all runt üm sin Hus to un süt dat de lütke Luk dar apen is, do denkt he „du schast doch ins tosen wat se dar wol makt, warüm dat se mi d’ Dör wol nich apen don wil.“ Do wil he dar dör kiken un kan den Kop dar ni dör krigen van sin langen Bart. Do stekt he sin Bart dar erst dör de Luk, un as he de dar hendör het, do geit Fro Mansrot bi un schuft de Luk grad to mit ’n Bant, de se dar an bunnen het, un de Bart blift darin vast sitten. Do fangt he so jammerlik an to kriten, dat deit üm so sär: un do bidd’t he är se mag üm wedder los laten. Do segt se er nich as bet he är de Ledder deit, war he mit to ’n Barg herut sticht. Do mag he willen oder nich, he mot är seggen war de Ledder is. Do bint se ’n ganzen langen Bant dar an de Schuf, un do legt se de Ledder an un sticht to ’n Barg herut: un as se baven is, do lukt se de Schuf apen. Do geit se na är Vader hen un vertelt wo dat är all gan is. Do freut de König sick so un är Brögam is dar ok noch, un do gat se hen un gravt den Barg up un finnt den ollen Rinkrank mit all sin Golt ün Sülver darin. Do let de König den ollen Rinkrank dot maken, un all sin Sülver un Golt nimt he mit. Do kricht de Königsdochter den ollen Brögam noch ton Mann, un se lävt recht vergnögt un herrlich un in Freuden.

Oll Rinkrank

Es war einmal ein König, und der hatte eine Tochter; der hatte er einen gläsernem Berg machen lassen und hatte gesagt: Wer darüber laufen könne, ohne zu fallen, der sollte seine Tochter zur Frau haben.
Nun war da auch einer, der mochte die Königstochter von Herzen gern leiden. Der fragte den König, ob er seine Tochter nicht haben könnte?
„Ja“, sagte der König; „wenn er über den Berg laufen könnte, ohne zu fallen, dann könnte er sie haben.
Da sagte die Königstochter, sie wollte mit ihm hinüber laufen und ihn halten, wenn er fallen sollte. Da lief sie nun mit ihm hinüber; wie sie aber mitten drauf waren, glitt die Königstochter aus und fiel, und der Glasberg öffnete sich, und sie stürzte da hinein, und der Bräutigam konnte nicht sehen, wo sie geblieben war; denn der Berg hatte sich gleich wieder geschlossen. Da jammerte und weinte er so sehr; und der König war auch so sehr traurig und ließ den Berg wieder abbrechen und meinte, er könnte sie so wieder herausbekommen; aber man konnte die Stelle nicht finden, wo sie hinuntergefallen war.

Unterdessen war die Königstochter ganz tief auf den Grund in eine große Höhle gekommen. Da kam ihr so ein alter Kerl mit einem ganz langen grauen Bart entgegen; und der sagte, wenn sie seine Magd werden wollte und alles täte, was er ihr befehle, dann sollte sie am Leben bleiben; sonst würde er sie umbringen.

Da tat sie alles, was er ihr sagte. Am Morgen nahm er seine Leiter aus der Tasche, legte sie an den Berg und stieg damit aus dem Berg heraus; und dann zog er die Leiter zu sich herauf.

Und dann musste sie sein Essen kochen und sein Bett machen und alle Arbeit tun; und wenn er dann wieder nach Hause kam, brachte er immer einen Haufen Gold und Silber mit.

Als sie viel Jahre bei ihm gewesen und ganz alt geworden war, da nannte er sie „Frau Mansrot“, und sie musste ihn „Oll Rinkrank“ nennen.

Als er wieder einmal hinaus war, da machte sie ihm sein Bett und wusch seine Schüsseln. Und dann machte sie alle Türen und Fenster dicht zu, da war nur ein Schiebefenster, wo Licht hineinschien; das ließ sie offen.

Als der alte Rinkrank nun wiederkam, da klopfte er an die Tür und rief: „Frau Mansrot, mach mir die Türe auf!“

„Nein“, sagte sie, „ich tu‘ dir, oll Rinkrank, die Türe nicht auf.“

Da sagte er:

„Hier steh ich armer Rinkrank!
auf mein siebzehn Beinen lang
auf mein einem vergoldeten Fuß
Frau Mansrot,wasch meine Schüsseln!“

„Ich habe deine Schüsseln schon gewaschen!“ sagte sie.

Da sagte er wieder:

„Hier steh ich armer Rinkrank!
auf mein siebzehn Beinen lang
auf mein einem vergoldeten Fuß
Frau Mansrot,mach mir mein Bett!“

„Ich habe dein Bett schon gemacht“, sagte sie.

Da sagte er wieder:

„Hier steh ich armer Rinkrank!
auf mein siebzehn Beinen lang
auf mein einem vergoldeten Fuß
Frau Mansrot,mach mir die Tür auf!“

Da lief er rund um sein Haus und sah, dass die kleine Luke offen war; da dachte er: „Du musst doch einmal nachgucken, was sie da wohl macht und warum sie die Tür nicht aufmachen will.“

Da will er nun durch die Luke hindurchgucken und kann den Kopf nicht durchkriegen wegen seinem langen Bart. Da steckt er seinen Bart erst durch die Luke, und als er ihn da hindurch gesteckt hatte, da kam die Frau Mansrot herbei und zog die Luke grade mit einem Band zu, das sie daran gebunden hatte, und so blieb der Bart fest darin sitzen. Da fing er jämmerlich an zu schreien, das täte ihm so weh. Und da bat er sie, sie möchte ihn doch wieder loslassen.

Da sagte sie : Eher nicht, als bis er ihr die Leiter gäbe, mit der er zum Berg heraus steige.

Da mochte er nun wollen oder nicht, er musste ihr sagen, wo die Leiter wäre.

Da band sie ein ganz langes Band an das Schiebefenster, und dann legte sie die Leiter an und stieg aus dem Berg heraus; und wie sie oben ist, da zieht sie das Schiebefenster auf.

Dann ging sie zu ihrem Vater und erzählte ihm, wie es ihr ergangen war. Da freute sich der König sehr und ihr Bräutigam lebte auch noch.

Und nun gingen sie hin und gruben den Berg auf und fanden den alten Rinkrank mit all seinem Gold und Silber darin.

Da ließ der König den alten Rinkrank töten und sein Gold und Silber nahm er mit sich fort. Die Königstochter aber bekam den früheren Bräutigam zum Mann und sie lebten vergnügt und herrlich und in Freuden.

das 51. der Kinder- und Hausmärchen


heißt  Fundevogel (in den ersten Ausgaben noch: Vom Fundevogel ) und gehörte zu meinen Lieblingsmärchen als ich Kind war, und ich schätze es noch immer. Es war mir  lieber als das Märchen von  Hänsel und Gretel, mit dem es viel Gemeinsames hat, weil die Eltern hier keinen so „bösen Part“ haben, allerdings kommt die Not in diesem Märchen auch nicht so zum Vorschein. Die aufgezählten Verwandlungen in: Rosenstock und Rose; Kirche und Krone; Wasser und Ente gibt es öfter im Märchen und jedes Mal wundere ich mich über Kirche und Krone; diese Produkte der Zivilisation zwischen der „Natur“. Eine Erklärung kann man sich nur denken und die wird dann vermutlich falsch sein.  Hinweise habe ich in den Anmerkungen keine gefunden.

Eugen Drewermann, der die Kinder- und Hausmärchen mal psychologisch ausdeutete, schrieb über die Bedrohung des Todes im Fundevogel den Verwandlungen folgende(mir für das Märchen zu weit hergeholte, aber interessant und schön zu lesende) Bedeutung zu:

Rosenstock und Rose ist die Antwort der Jugend,die „unmittelbarste, fröhlichste und heiterste Reaktion auf die Nähe des Todes, sich seinen Augen zu entziehen in dem Blühen und Reifen jugendlicher Schönheit.“
Kirche und Krone ist die Antwort in der Mitte des Lebens; „jeder Mensch ist der Souverän seines eigenen Lebens und besitzt in sich selbst  Würde und Größe, ist autonom in seinem Fühlen und Denken“
See und Ente ist die Antwort im vorrückenden Alter und „Symbol einer Verwandlung, die den Tod selber zu töten vermag, indem sie das Wunder der Schöpfung der Welt im Leben eines einzelnen Menschen erneuert und ihn, der in der Zeit aus dem Nichtsein entstand, aus der Vergänglichkeit der Zeit in ein Dasein jenseits von Zeit und Raum entläßt.“

Die Grimms schrieben in den Anmerkungen zu den KHM: 
Aus der Schwalmgegend in Hessen. Es wird auch erzählt daß die Köchin die böse Frau des Försters war, und Fragen und Antwort werden anders gestellt z. B. „ihr hättet die Rose nur abbrechen sollen, der Stock wäre schon nachgekommen“. Voß hat das Märchen in seiner Jugend erzählen hören und theilt Bruchstücke daraus mit in den Anmerkungen zu seiner neunten Idylle. Ein ähnliches Aufsuchen der Flüchtigen in Rolf Krakes Sage Cap. 2. Bei Colshorn Nr. 69. Verwandt ist das Märchen vom Liebsten Roland (Nr. 56).

 Fundevogel

Es war einmal ein Förster, der ging in den Wald auf die Jagd, und wie er in den Wald kam, hörte er schreien, als ob es ein kleines Kind wäre. Er ging dem Schreien nach und kam endlich zu einem hohen Baum, und oben darauf saß ein kleines Kind. Es war aber die Mutter mit dem Kinde unter dem Baum eingeschlafen, und ein Raubvogel hatte das Kind in ihrem Schoße gesehen: da war er hinzu geflogen, hatte es mit seinem Schnabel weggenommen und auf den hohen Baum gesetzt.

Der Förster stieg hinauf, holte das Kind herunter und dachte: „Du willst das Kind mit nach Haus nehmen und mit deinem Lenchen zusammen aufziehn.“
Er brachte es also heim, und die zwei Kinder wuchsen mit einander auf. Das aber, das auf dem Baum gefunden worden war, und weil es ein Vogel weggetragen hatte, wurde Fundevogel geheißen. Fundevogel und Lenchen hatten sich so lieb, nein so lieb, dass wenn eins das andere nicht sah, ward es traurig.

Der Förster hatte aber eine alte Köchin, die nahm eines Abends zwei Eimer und fing an Wasser zu schleppen, und ging nicht einmal sondern viele Mal hinaus an den Brunnen. Lenchen sah es und sprach: „Hör einmal, alte Sanne, was trägst du denn so viel Wasser zu?“
„Wenn du es keinem Menschen wieder sagen willst, so will ich dir es wohl sagen.“
Da sagte Lenchen nein, sie wollte es keinem Menschen sagen und so sprach die Köchin: „Morgen früh, wenn der Förster auf die Jagd ist, da koche ich das Wasser, und wenn es im Kessel siedet, werfe ich den Fundevogel hinein, und will ihn darin kochen.“

Des andern Morgens in aller Frühe stieg der Förster auf und ging auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett. Da sprach Lenchen zum Fundevogel: „Verlässt du mich nicht, so verlass ich dich auch nicht:“ und sprach der Fundevogel: „Nun und nimmermehr.“
Da sprach Lenchen: „Ich will es dir nur sagen, die alte Sanne schleppte gestern Abend so viel Eimer Wasser ins Haus, da fragte ich sie warum sie das täte, so sagte sie, wenn ich es keinem Menschen sagen wollte, so wollte sie es mir wohl sagen; sprach ich, ich wollte es gewiss keinem Menschen sagen: da sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden, dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufsteigen, uns anziehen und zusammen fortgehen.“

Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Köchin in die Schlafkammer, wollte den Fundevogel holen und ihn hinein werfen. Aber, als sie hinein kam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort: da wurde ihr grausam angst, und sie sprach vor sich: „Was will ich nun sagen, wenn der Förster heim kommt und sieht dass die Kinder weg sind? Geschwind hinterher, dass wir sie wieder kriegen.“

Da schickte die Köchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einholen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lenchen zum Fundevogel: „Verlässt du mich nicht, so verlass ich dich auch nicht.“ Da sprach Fundevogel:„Nun und nimmermehr.“
Da sagte Lenchen: „Werde du zum Rosenstöckchen, und ich zum Röschen darauf.“
Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da als ein Rosenstrauch und ein Röschen oben drauf, die Kinder aber nirgends. Da sprachen sie: „Hier ist nichts zu machen,“ und gingen heim und sagten der Köchin, sie hätten nichts in der Welt gesehen als nur ein Rosenstöckchen und ein Röschen oben darauf.
Da schalt die alte Köchin: „Ihr Einfaltspinsel, ihr hättet das Rosenstöckchen sollen entzwei schneiden und das Röschen abbrechen und mit nach Haus bringen, geschwind und tut es.“


Sie mussten also zum zweiten Mal hinaus und suchen. Die Kinder sahen sie aber von weitem kommen, da sprach Lenchen: „Fundevogel, verlässt du mich nicht, so verlass ich dich auch nicht.“ Fundevogel sagte:„Nun und nimmermehr.“
Sprach Lenchen: „So werde du eine Kirche und ich die Krone darin.“
Wie nun die drei Knechte dahin kamen, war nichts da als eine Kirche und eine Krone darin. Sie sprachen also zueinander: „Was sollen wir hier machen, lasst uns nach Hause gehen.“
Wie sie nach Haus kamen, fragte die Köchin ob sie nichts gefunden hätten: so sagten sie nein, sie hätten nichts gefunden als eine Kirche, da wäre eine Krone darin gewesen.
„Ihr Narren,“ schalt die Köchin, „warum habt ihr nicht die Kirche zerbrochen und die Krone mit heim gebracht?“
Nun machte sich die alte Köchin selbst auf die Beine und ging mit den drei Knechten den Kindern nach.
Die Kinder sahen aber die drei Knechte von weitem kommen, und die Köchin wackelte hinten nach. Da sprach Lenchen: „Fundevogel, verlässt du mich nicht, so verlass ich dich auch nicht.“ Da sprach der Fundevogel: „Nun und nimmermehr.“
Sprach Lenchen: „Werde zum Teich und ich die Ente drauf.“
Die Köchin kam an und als sie den Teich sah, legte sie sich drüber hin und wollte ihn aussaufen. Aber die Ente kam schnell geschwommen, fasste sie mit ihrem Schnabel beim Kopf und zog sie ins Wasser hinein, da musste die alte Hexe ertrinken.
Da gingen die Kinder zusammen nach Haus und waren herzlich froh; und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.