entweder gestalten – oder ertragen


Gestalten oder ertragen, eins von beiden ist oft Thema der Märchenheldin, des Märchenhelden. In einem meiner Lieblingsmärchen „Die Jungfrau Maleen“ hat die Heldin lange Zeit keine Möglichkeit ihr Schicksal selbst zu gestalten, doch das Märchen lehrt, dass solche Zustände überwunden werden, wenn es auch seine Zeit braucht. Diese amethystfarbene Kette habe ich nach diesem Märchen benannt. Sie ist Ton-in-Ton gearbeitet und wirkt dadurch unaufdringlich elegant und das empfinde ich der schönen, beharrlichen Jungfrau Maleen entsprechend.  ich hab da zwar nicht dran gedacht,  als ich die Perlen zusammengestellt habe, erzähls jetzt aber trotzdem: die weiß-lilafarbenen Perlen haben eine Schneckenform und im Mittelalter ist die Schnecke auch ein Symbol der Jungfräulichkeit gewesen.

 Halskette "Jungfrau Maleen" auf DaWanda

Mini_logo

Entdeckt auf DaWanda

Von: Rezitante

Halskette „Jungfrau Maleen“

DaWanda Shop-Widget

Jungfrau Maleen steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der 6. Auflage von 1850 an Stelle 198 (KHM 198) und stammt aus Karl Müllenhoffs Sammlung Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg von 1845.

198.
Jungfrau Maleen.

Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, der warb um die Tochter eines mächtigen Königs, die hieß Jungfrau Maleen und war wunderschön. Sie ward ihm versagt, weil ihr Vater sie einem andern geben wollte. Da sich aber beide von Herzen liebten, so wollten sie nicht von einander lassen, und die Jungfrau Maleen sprach zu ihrem Vater „ich kann und will keinen andern zu meinem Gemahl nehmen.“ Da gerieth der Vater in Zorn und ließ einen finstern Thurn bauen, in den kein Strahl von Sonne oder Mond fiel. Und als er fertig war, sprach er „darin sollst du sieben Jahre lang sitzen, dann will ich kommen und sehen ob dein trotziger Sinn gebrochen ist“. Für die sieben Jahre ward Speise und Trank in den Thurn getragen, dann ward sie und ihre Kammerjungfer hinein geführt und eingemauert, und also von Himmel und Erde geschieden. Da saßen sie in der Finsternis, wußten nicht wann Tag oder Nacht anbrach. Der Königssohn gieng oft um den Thurn herum und rief ihren Namen, aber kein Laut drang von außen durch die dicken Mauern. Was konnten sie anders thun als jammern und klagen? Indessen gieng die Zeit dahin und an der Abnahme von Speise und Trank merkten sie daß die sieben Jahre  ihrem Ende sich näherten. Sie dachten der Augenblick ihrer Erlösung wäre gekommen, aber kein Hammerschlag ließ sich hören und kein Stein wollte aus der Mauer: es schien als ob ihr Vater sie vergessen hätte. Als sie nur noch für kurze Zeit Nahrung hatten und einen jämmerlichen Tod voraus sahen, da sprach die Jungfrau Maleen „wir müssen das letzte versuchen und sehen ob wir die Mauer durchbrechen.“ Sie nahm das Brotmesser, grub und bohrte an dem Mörtel eines Steins, und wenn sie müd war, so löste sie die Kammerjungfer ab. Nach langer Arbeit gelang es ihnen einen Stein heraus zu nehmen, dann einen zweiten und dritten, und nach drei Tagen fiel der erste Lichtstrahl in ihre Dunkelheit, und endlich war die Öffnung so groß daß sie hinaus schauen konnten. Der Himmel war blau, und eine frische Luft wehte ihnen entgegen, aber wie traurig sah rings umher alles aus: das Schloß ihres Vaters lag in Trümmern, die Stadt und die Dörfer waren, so weit man sehen konnte, verbrannt, die Felder weit und breit verheert: keine Menschenseele ließ sich erblicken. Als die Öffnung in der Mauer so groß war, daß sie hindurch schlüpfen konnten, so sprang zuerst die Kammerjungfer herab und dann folgte die Jungfrau Maleen. Aber wo sollten sie sich hinwenden? Die Feinde hatten das ganze Reich verwüstet, den König verjagt und alle Einwohner erschlagen. Sie wanderten fort um ein anderes Land zu suchen, aber sie fanden nirgend ein Obdach oder einen Menschen, der ihnen einen Bissen Brot gab, und ihre Noth war so groß daß sie ihren Hunger an einem Brennnesselstrauch stillen mußten. Als sie nach langer Wanderung in ein anderes Land kamen, boten sie überall ihre Dienste  an, aber wo sie anklopften wurden sie abgewiesen, und niemand wollte sich ihrer erbarmen. Endlich gelangten sie in eine große Stadt und giengen nach dem königlichen Hof. Aber auch da hieß man sie weiter gehen, bis endlich der Koch sagte sie könnten in der Küche bleiben und als Aschenputtel dienen.

Der Sohn des Königs, in dessen Reich sie sich befanden, war aber gerade der Verlobte der Jungfrau Maleen gewesen. Der Vater hatte ihm eine andere Braut bestimmt, die ebenso häßlich von Angesicht als bös von Herzen war. Die Hochzeit war festgesetzt und die Braut schon angelangt, bei ihrer großen Häßlichkeit aber ließ sie sich vor niemand sehen und schloß sich in ihre Kammer ein und die Jungfrau Maleen mußte ihr das Essen aus der Küche bringen. Als der Tag heran kam, wo die Braut mit dem Bräutigam in die Kirche gehen sollte, so schämte sie sich ihrer Häßlichkeit und fürchtete wenn sie sich auf der Straße zeigte, würde sie von den Leuten verspottet und ausgelacht. Da sprach sie zur Jungfrau Maleen „dir steht ein großes Glück bevor, ich habe mir den Fuß vertreten und kann nicht gut über die Straße gehen: du sollst meine Brautkleider anziehen und meine Stelle einnehmen: eine größere Ehre kann dir nicht zu Theil werden.“ Die Jungfrau Maleen aber schlug es aus und sagte „ich verlange keine Ehre, die mir nicht gebührt.“ Es war auch vergeblich daß sie ihr Gold anbot. Endlich sprach sie zornig „wenn du mir nicht gehorchst, so kostet es dich dein Leben: ich brauche nur ein Wort zu sagen, so wird dir der Kopf vor die Füße gelegt.“ Da mußte sie gehorchen und die prächtigen Kleider der Braut sammt ihrem Schmuck anlegen. Als sie in den königlichen Saal eintrat, erstaunten alle über ihre große Schönheit und der König sagte zu seinem Sohn „das ist die Braut, die ich dir ausgewählt habe und die du zur Kirche führen sollst.“ Der Bräutigam erstaunte und dachte „sie gleicht meiner Jungfrau Maleen, und ich würde glauben sie wäre es selbst, aber die sitzt schon lange im Thurn gefangen oder ist todt.“ Er nahm sie an der Hand und führte sie zur Kirche. An dem Wege stand ein Brennesselbusch, da sprach sie

„Brennettelbusch,
Brennettelbusch so klene,
wat steist du hier allene?
ik hef de Tyt geweten
da hef ik dy ungesaden
ungebraden eten.“

„Was sprichst du da?“ fragte der Königssohn. „Nichts,“ antwortete sie, „ich dachte nur an die Jungfrau Maleen.“ Er verwunderte sich daß sie von ihr wußte, schwieg aber still. Als sie an den Steg vor dem Kirchhof kamen, sprach sie

„Karkstegels, brik nich,
Bün de rechte Brut nich.“

„Was sprichst du da?“ fragte der Königssohn? „Nichts,“ antwortete sie, „ich dachte nur an die Jungfrau Maleen.“ „Kennst du die Jungfrau Maleen?“ „Nein,“ antwortete sie, „wie sollte ich sie kennen, ich habe nur von ihr gehört.“ Als sie an die Kirchthüre kamen, sprach sie abermals

„Karkendär, brik nich,
bün de rechte Brut nich.“

„Was sprichst du da?“ fragte er. „Ach,“ antwortete sie, „ich habe nur an die Jungfrau Maleen gedacht.“ Da zog er ein kostbares Geschmeide hervor, legte es ihr an den Hals und hakte die Kettenringe in einander. Darauf traten sie in die Kirche, und der Priester legte vor dem Altar ihre Hände in einander und vermählte sie. Er führte sie zurück, aber sie sprach auf dem ganzen Weg kein Wort. Als sie wieder in dem königlichen Schloß angelangt waren, eilte sie in die Kammer der Braut, legte die prächtigen Kleider und den Schmuck ab, zog ihren grauen Kittel an und behielt nur das Geschmeide um den Hals, das sie von dem Bräutigam empfangen hatte.

Als die Nacht heran kam und die Braut in das Zimmer des Königssohns sollte geführt werden, so ließ sie den Schleier über ihr Gesicht fallen, damit er den Betrug nicht merken sollte. Sobald alle Leute fortgegangen waren, sprach er zu ihr „was hast du doch zu dem Brennesselbusch gesagt, der an dem Weg stand?“ „Zu welchem Brennesselbusch?“ fragte sie, „ich spreche mit keinem Brennesselbusch.“ „Wenn du es nicht gethan hast, so bist du die rechte Braut nicht“ sagte er. Da half sie sich und sprach

„mut heruet na myne Maegt,
de my myn Gedanken draegt.“

Sie gieng hinaus und fuhr die Jungfrau Maleen an, „Dirne, was hast du zu dem Brennesselbusch gesagt?“ „Ich sagte nichts als

Brennettelbusch,
Brennettelbusch so klene,
wat steist du hier allene?

Ik hef de Tyt geweten,
da hef ik dy ungesaden
ungebraden eten.“

Die Braut lief in die Kammer zurück und sagte „jetzt weiß ich was ich zu dem Brennesselbusch gesprochen habe,“ und wiederholte die Worte, die sie eben gehört hatte. „Aber was sagtest du zu dem Kirchensteg, als wir darüber giengen?“ fragte der Königssohn. „Zu dem Kirchensteg?“ antwortete sie, „ich spreche mit keinem Kirchensteg.“ „Dann bist du auch die rechte Braut nicht.“ Sie sagte wiederum

„mut herut na myne Maegt,
de my myn Gedanken draegt.“

Lief hinaus und fuhr die Jungfrau Maleen an, „Dirne, was hast du zu dem Kirchsteg gesagt?“ „Ich sagte nichts als

Karkstegels, brik nich,
bün de rechte Brut nich.“

„Das kostet dich dein Leben“ rief die Braut, eilte aber in die Kammer und sagte „jetzt weiß ich was ich zu dem Kirchsteg gesprochen habe“ und wiederholte die Worte. „Aber was sagtest du zu der Kirchenthür?“ „Zur Kirchenthür?“ antwortete sie, „ich spreche mit keiner Kirchenthür.“ „Dann bist du auch die rechte Braut nicht.“ Sie gieng hinaus, fuhr die Jungfrau Maleen an „Dirne, was hast du zu der Kirchenthür gesagt?“ „Ich sagte nichts als

Karkendär, brik nich,
bün de rechte Brut nich.“

„Das bricht dir den Hals“ rief die Braut und gerieth in den größten Zorn, eilte aber zurück in die Kammer und sagte „jetzt weiß ich was ich zu der Kirchenthür gesprochen habe“, und wiederholte die Worte. „Aber, wo hast du das Geschmeide, das ich dir an der Kirchenthüre gab?“ „Was für ein Geschmeide,“ antwortete sie, „du hast mir kein Geschmeide gegeben“. „Ich habe es dir selbst um den Hals gelegt und selbst eingehakt: wenn du das nicht weißt, so bist du die rechte Braut nicht.“ Er zog ihr den Schleier vom Gesicht, und als er ihre grundlose Häßlichkeit erblickte, sprang er erschrocken zurück und sprach „wie kommst du hierher? wer bist du?“ „Ich bin deine verlobte Braut, aber weil ich fürchtete die Leute würden mich verspotten, wenn sie mich draußen erblickten, so habe ich dem Aschenputtel befohlen meine Kleider anzuziehen und statt meiner zur Kirche zu gehen.“ „Wo ist das Mädchen“ sagte er, „ich will es sehen, geh und hol es hierher.“ Sie gieng hinaus und sagte den Dienern das Aschenputtel sei eine Betrügerin, sie sollten es in den Hof hinab führen und ihm den Kopf abschlagen. Die Diener packten es und wollten es fortschleppen, aber es schrie so laut um Hilfe, daß der Königssohn seine Stimme vernahm, aus seinem Zimmer herbei eilte und den Befehl gab das Mädchen augenblicklich loszulassen. Es wurden Lichter herbei geholt und da bemerkte er an ihrem Hals den Goldschmuck den er ihm vor der Kirchenthür gegeben hatte. „Du bist die rechte Braut“ sagte er, „die mit mir zur Kirche gegangen ist: komm mit mir in meine  Kammer.“ Als sie beide allein waren, sprach er „du hast auf dem Kirchgang die Jungfrau Maleen genannt, die meine verlobte Braut war: wenn ich dächte es wäre möglich, so müßte ich glauben sie stände vor mir: du gleichst ihr in allem.“ Sie antwortete „ich bin die Jungfrau Maleen, die um dich sieben Jahre in der Finsterniß gefangen gesessen, Hunger und Durst gelitten und so lange in Noth und Armuth gelebt hat: aber heute bescheint mich die Sonne wieder. Ich bin dir in der Kirche angetraut und bin deine rechtmäßige Gemahlin.“ Da küßten sie einander und waren glücklich für ihr Lebtag. Der falschen Braut ward zur Vergeltung der Kopf abgeschlagen.

Der Thurn, in welchem die Jungfrau Maleen gesessen hatte, stand noch lange Zeit, und wenn die Kinder vorüber giengen, so sangen sie

„kling klang kloria,
wer sitt in dissen Thoria?
Dar sitt en Königsdochter in,
die kan ik nich to seen krygn.
De Muer de will nich bräken,
De Steen de will nich stechen.
Hänschen mit de bunte Jak,
kumm unn folg my achterna.“

schneeweiß, blutrot, ebenholzschwarz…


Bei der Farbkombination „klingelt es“ fast bei jedem, das ist doch Schneewittchen von den Brüdern Grimm. Ich hatte auch diese Assoziation, als ich die dunkelgrauen Perlen, die roten Granatsteine und die weißen Jadeperlen vor mir zu liegen hatte und dachte dann, der Ludwig Bechstein hat doch auch eine Fassung von diesem Märchen geschrieben, da heißt das Schneewittchen dann Schneeweißchen und ist genauso weiß und rot und schwarz.
Aber da ich schon eine Kette mit „Schneeweißchen“ benamst habe, wird diese Kette hier  dem Schneewittchen gewidmet und nun das Märchen der Grimms erzählt.

Halskette "Schneewittchen" auf DaWanda

Mini_logo

Entdeckt auf DaWanda

Von: Rezitante

Halskette „Schneewittchen“

DaWanda Shop-Widget

Das Märchen ist seit der ersten Ausgabe 1812 in der Sammlung enthalten und hieß ursprünglich noch Sneewittchen. Hier die Märchenvariante aus der 1. Ausgabe.

Sneewittchen.

Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rothe im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich „hätt ich ein Kind so weiß wie Schnee, so roth wie Blut, und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen.“ Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so roth wie Blut, und so schwarzhaarig wie Ebenholz, und ward darum das Sneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin.
Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermüthig, und konnte nicht leiden daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“
so antwortete der Spiegel
„Frau Königin, ihr seid die schönste im Land.“
Da war sie zufrieden, denn sie wußte daß der Spiegel die Wahrheit sagte.
Sneewittchen aber wuchs heran, und wurde immer schöner, und als es sieben Jahr alt war, war es so schön, wie der klare Tag, und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“
so antwortete er
„Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als ihr.“
Da erschrack die Königin, und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmuth wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach „bring das Kind hinaus in den Wald, ich wills nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es tödten, und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.“ Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Sneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fieng es an zu weinen und sprach „ach, lieber Jäger, laß mir mein Leben; ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heim kommen.“ Und weil es so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach „so lauf hin, du armes Kind.“ „Die wilden Thiere werden dich bald gefressen haben“ dachte er, und doch wars ihm als wär ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu tödten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus, und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte sie hätte Sneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelig allein, und ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wußte wie es sich helfen sollte. Da fieng es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Thiere sprangen an ihm vorbei, aber sie thaten ihm nichts. Es lief so lange nur die Füße noch fort konnten, bis es bald Abend werden wollte, da sah es ein kleines Häuschen und gieng hinein sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weiß gedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblein, und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein neben einander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Sneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs und Brot, und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war: und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie daß jemand darin gewesen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach „wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?“ Der zweite „wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“ Der dritte „wer hat von meinem Brötchen genommen?“ Der vierte „wer hat von meinem Gemüschen gegessen?“ Der fünfte „wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?“ Der sechste „wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?“ Der siebente „wer hat aus meinem Becherlein getrunken?“ Dann sah sich der erste um und sah daß auf seinem Bett eine kleine Dälle war, da sprach er „wer hat in mein Bettchen getreten?“ Die andern kamen gelaufen und riefen „in meinem hat auch jemand gelegen.“ Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Sneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen, und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein, und beleuchteten Sneewittchen. „Ei, du mein Gott! ei, du mein Gott!“ riefen sie, „was ist das Kind so schön!“ und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum.
Als es Morgen war, erwachte Sneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrack es. Sie waren aber freundlich und fragten „wie heißt du?“ „Ich heiße Sneewittchen,“ antwortete es. „Wie bist du in unser Haus gekommen?“ sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen daß seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wär es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen „willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen.“ „Ja,“ sagte Sneewittchen, „von Herzen gern,“ und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung: Morgens giengen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, Abends kamen sie wieder, und da mußte ihr Essen bereit sein. Den Tag über war das Mädchen allein, da warnten es die guten Zwerglein und sprachen „hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen daß du hier bist; laß ja niemand herein.“
Die Königin aber, nachdem sie Sneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders als sie wäre wieder die erste und allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach

„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“
Da antwortete der Spiegel
„Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr.“
Da erschrack sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte daß der Jäger sie betrogen hatte, und Sneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht, und kleidete sich wie eine alte Krämerin, und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt gieng sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Thüre, und rief „schöne Waare feil! feil!“ Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief „guten Tag, liebe Frau, was habt ihr zu verkaufen?“ „Gute Waare, schöne Waare,“ antwortete sie, „Schnürriemen von allen Farben,“ und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. „Die ehrliche Frau kann ich herein lassen“ dachte Sneewittchen, riegelte die Thüre auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. „Kind,“ sprach die Alte, „wie du aussiehst! komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren.“ Sneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren: aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Sneewittchen der Athem vergieng, und es für todt hinfiel. „Nun bist du die schönste gewesen“ sprach sie, und eilte hinaus.
Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen sahen; und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es todt. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen daß es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei: da fieng es an ein wenig zu athmen, und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten was geschehen war, sprachen sie, „die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin: hüte dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind.“
Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war, gieng vor den Spiegel und fragte
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“
Da antwortete er wie sonst
„Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr.“
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrack sie, denn sie sah wohl daß Sneewittchen wieder lebendig geworden war. „Nun aber,“ sprach sie, „will ich etwas aussinnen, das dich zu Grunde richten soll,“ und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines andern alten Weibes an. So gieng sie hin über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Thüre, und rief „gute Waare feil! feil!“ Sneewittchen schaute heraus und sprach „geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen.“ „Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein“ sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich bethören ließ und die Thüre öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte „nun will ich dich einmal ordentlich kämmen.“ Das arme Sneewittchen dachte an nichts, und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte, und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. „Du Ausbund von Schönheit,“ sprach das boshafte Weib, „jetzt ists um dich geschehen,“ und gieng fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie todt auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach, und fanden den giftigen Kamm, und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich, und erzählte was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal auf seiner Hut zu sein und niemand die Thüre zu öffnen.
Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“
Da antwortete er, wie vorher,
„Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist doch noch tausendmal schöner als ihr.“
Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. „Sneewittchen soll sterben,“ rief sie, „und wenn es mein eignes Leben kostet.“ Darauf gieng sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit rothen Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht, und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so gieng sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an, Sneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus, und sprach „ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mirs verboten.“ „Mir auch recht,“ antwortete die Bäurin, „meine Äpfel will ich schon los werden. Da, einen will ich dir schenken.“ „Nein,“ sprach Sneewittchen, „ich darf nichts annehmen.“ „Fürchtest du dich vor Gift?“ sprach die Alte, „siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Theile; den rothen Backen iß du, den weißen will ich essen.“ Der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rothe Backen allein vergiftet war. Sneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, daß die Bäurin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es todt zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grausigen Blicken und lachte überlaut, und sprach „weiß wie Schnee, roth wie Blut, schwarz wie Ebenholz! diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken.“ Und als sie daheim den Spiegel befragte,
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“
so antwortete er endlich
„Frau Königin, ihr seid die schönste im Land.“
Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.
Die Zwerglein, wie sie Abends nach Haus kamen, fanden Sneewittchen auf der Erde liegen, und es gieng kein Athem mehr aus seinem Mund, und es war todt. Sie hoben es auf, suchten ob sie was giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts; das liebe Kind war todt und blieb todt. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle siebene daran und beweinten es, und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch, und hatte noch seine schönen rothen Backen. Sie sprachen „das können wir nicht in die schwarze Erde versenken,“ und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein, und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf, und daß es eine Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei, und bewachte ihn. Und die Thiere kamen auch und beweinten Sneewittchen, erst eine Eule, dann ein Rabe, zuletzt ein Täubchen.
Nun lag Sneewittchen lange lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß als Schnee, so roth als Blut, und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Königssohn in den Wald gerieth und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg, und das schöne Sneewittchen darin, und las was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen „laßt mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt.“ Aber die Zwerge antworteten „wir geben ihn nicht um alles Gold in der Welt.“ Da sprach er „so schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben ohne Sneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes.“ Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe, und richtete sich auf, und war wieder lebendig. „Ach Gott, wo bin ich?“ rief es. Der Königssohn sagte voll Freude „du bist bei mir,“ und erzählte was sich zugetragen hatte und sprach „ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden.“ Da war ihm Sneewittchen gut und gieng mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Fest wurde aber auch Sneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angethan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“
Der Spiegel antwortete
„Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber die junge Königin ist tausendmal schöner als ihr.“
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so angst, so angst, daß sie sich nicht zu lassen wußte. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen: doch ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte fort und die junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie Sneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffeln über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen herein getragen und vor sie hingestellt. Da mußte sie in die rothglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie todt zur Erde fiel.